VON REINHARD PALMER
erschienen in der Süddeutschen Zeitung am 13. April 2010
Ursprünglich war die Schola Cantorum Leipzig, gegründet 1963, ein Kinder- und Jugendchor. Nach der Neustrukturierung 1993 bestehen unter diesem Namen in der Altersspanne von fünf bis 30 Jahren mehrere, allesamt rein weiblich besetzte Chöre. Philipp Amelung ist seit 2005 ihr Leiter. Erstmals brachte der künstlerische Leiter des Ickinger Konzertzyklus am Sonntag einen Chor aus der neuen in seine alte Heimat. Auf dem Rückweg vom Probenaufenthalt in Südtirol gab er – teils von Tobias Stork überaus renommiert am Flügel begleitet – ein Konzert in der gut gefüllten Aula der Grundschule.
Selbst wenn das Gräfelfinger A‑cappella-Ensemble A‑sing/D‑sing – fünf junge Männer aus dem Würmtal – im Vorprogramm durchaus stimmliche Gewandtheit bewies – der Kontrast zur gepflegten Stimmkunst der 25 Mädchen war deutlich. Absolut intonationssicher und präzis im sprachlichen Duktus formte der homogene Klangkörper klar ausgeprägte Stimmungscharaktere. Ob englisch in Purcells "In these delightful pleasant groves", französisch in "Il est bel et bon" von Pierre Passerau (16. Jhdt.) oder deutsch in "Das kranke Mägdlein" von Max Zenger (1837–1911): Die Verschränkung der Stimmverläufe blieb transparent, plastisch und in der nicht selten heiklen Rhythmisierung mühelos wendig. Lyrische Einfühlsamkeit bis in die tiefsten Piano-Rücknahmen zeigte sich wie im Volkslied "Im schönsten Wiesengrunde" stets von schönmusikalisch geformter Substanz geprägt. Am deutlichsten erkennbar wurden die Stimmpotentiale im solistischen Einsatz.
Höchste Ansprüche vor allem in Bezug auf die feinsinnige Klangdifferenzierung stellen Robert Schumanns Chorlieder. Insbesondere in den Drei Liedern op.114 bewies der Chor überragende musikalische Reife. Von romantisch getrübter Lyrik in "Nänie" über die komplex rhythmisierte, farbige Harmonik in "Triolett" bis zur bewegten Erregung in "Spruch" arbeitete Amelung mit sparsamem Dirigat überzeugende emotionale Bilder heraus. Von Frische und Leichtigkeit bestimmt erklangen indes die Mädchenlieder op.103.
Die Vorlieben der Choristinnen bekamen reichlich Raum. Die Filmmusiken aus "Die Kinder des Monsieur Matthieu" von Bruno Coulais färbten sich mit schwärmerischer Melancholie, im "Compère Guilleri" zudem mit lustvoller Beherztheit. Dennoch verließ die Schola Cantorum Leipzig niemals den edlen, kultivierten Zugriff. Selbst wenn eine Dschungel-Geräuschkulisse für George David Weiss’ "The lion sleeps tonight" simuliert wurde, erklang jeder Laut sorgfältig gesetzt. Das große gestalterische Spektrum breitete sich nach "Deep river" und "Autumn leaves" schließlich nochmals in Gwyn Archs "All my trials" ausdrucksstark aus. Mit dem choreographierten "Sister Act"-Medley in der Zugabe verabschiedeten sich die Mädchen der Schola Cantorum Leipzig packend vom begeisterten Publikum.