VON UWE MITSCHIN
erschienen in den Nürnberger Nachrichten am 3. Dezember 2019
NÜRNBERG. Offenbar aus verdrängter Angst, in Erwartung seines Todes hatte Johannes Brahms eines seiner letzten Werke, die "Vier ernsten Gesänge", als "Schnadahüpfeln" bezeichnet. Die wichtigsten Menschen in seinem Leben waren gestorben, gerade als er diese "Gesänge" komponierte, auch Clara Schumann, dreißig Jahre zuvor schon seine Mutter. Unter dem Eindruck ihres Todes hatte er "Ein deutsches Requiem" geschrieben.
Beides zusammen ergab in der Meistersingerhalle mit dem Hans-Sachs-Chor und den Nürnberger Symphonikern, zumal unter dem Eindruck des Todes von Mariss Jansons, ein bewegendes Ereignis: eine Kombination mit tieferer Bedeutung. Auch die des hiesigen Chors mit den Damen der Schola Cantorum Leipzig (gelbe Schals!). Sie eröffnete der Aufführung, auch schon zuvor in Zwickau, großzügige chorische Möglichkeiten.
Für ein Requiem ohne Erlösung, aber auch ohne Gericht, zwischen der Reduktion klanglicher Mittel und den monumentalen Klangmassen des späten 19. Jahrhunderts. Arnold Schönberg glaubte, "Ökonomie und dennoch: Reichtum" daraus gelernt zu haben.
Nicht nur alttestamentarische Wucht
Klar umrissene Dimensionen, große Spannweite waren auch für den Dirigenten Guido Johannes Rumstadt vordringliche Themen. Dabei führte er nach den leisen Streicherdimensionen den Chor mit spürbarer Strenge zu konzentrierter Artikulation und sehr genau differenzierten Volumina. Nicht alles in diesem Requiem muss alttestamentarisch überwältigende Wucht haben, vielmehr ist es der subtile Wechsel in der Arbeit des 35-jährigen Brahms, der überzeugt.
Rumstadt nützt die Chancen der großen Chorbesetzung für differenzierte Dimensionen, nur wenige Male zu monumentalen Ausbrüchen in extremer Klangfülle, die er aber immer schnell wieder zurücknimmt. Das ist sehr überzeugend in dieser Aufführung, die aus dem Vollen schöpfen kann, sich aber nie übernimmt. Die Symphoniker spielen durchwegs spannungsreich, die vielbeschäftigte Pauke ist wie ein ablaufendes Uhrwerk, wie ein stockender Herzschlag. In dem vielgestaltigen Chor Nr. 2 realisiert die Wiedergabe eine geradezu skulpturenhafte Plastizität und wiedersteht allen Versuchungen zu opernhaft Aufgedonnertem.
Julia Grüter vom Staatstheater sang ihre lyrische Version von Traurigkeit und Trost technisch wunderschön, blieb aber wenig innig , emotional wenig erfüllt. Erst zu ihrer "Arie" schnell mal auf die Bühne, attacca los mit Brahms: das funktioniert nicht und war wie ein kurzes Gastspiel. Dagegen fühlte sich der Bariton Markus Marquardt aus Dresden mit seinen heldischen Mitteln gegenüber der etwas einebnenden Interpretation der "Ernsten Gesänge" in einer Orchesterfassung im "Requiem" wesentlich mehr herausgefordert. Und trug erheblich bei zur uneingeschränkt überzeugenden Arbeit von Chor und Orchester unter der überlegen, sicheren Hand von Guido J. Rumstadt: bis hin zum kontemplativen Ende.