VON REINHARD KALB
erschienen in der Nürnberger Zeitung am 3. Dezember 2019
NÜRNBERG. Normalerweise bevorzugt man Brahms’ "Nänie" und das "Schicksalslied" zur Einstimmung für sein "Deutsches Requiem". Am Sonntag aber griffen der Hans-Sachs-Chor und die Nürnberger Symphoniker auf die "Vier ernsten Gesänge" als Einheizer zurück. Aber nicht für Klavier, sondern in einer Orchesterfassung, die der Musikpädagoge Karl Michael Komma (1913- 2012) erstellt hatte. Das macht neugierig. Verstärkt Komma den schroffen Charakter dieser Todesmeditationen? Oder übermalt er in neoromantischem Duktus das Gesagte?
Weder noch: Sein lichter Orchestersatz betont natürlich die tiefen Lagen. Celli, Kontrabässe, Fagott und Hörner grundieren die Stimme des Bassbaritons Markus Marquardt, lassen ihr aber viel Luft und Freiraum. Die Hörbarkeit des Textes ist bei Komma oberstes Gebot, so dass Marquardt, Ensemblemitglied der Semperoper Dresden, keine Mühen hat, sich neben dem Orchester zu behaupten. Hätte Brahms auch so orchestriert? Vielleicht hätte es bei ihm um einige Nuancen pathetischer und düsterer geklungen. Die Zurückhaltung bei Komma macht sich gerade im letzten Gesang, dem einzigen Hoffnungsschimmer des Opus, positiv bemerkbar.
Jetzt hätte man bruchlos zum "Deutschen Requiem" überleiten können. Doch nach kaum einer halben Stunde war schon Pause in der Meistersingerhalle – viel zu früh, da hätte man ruhig noch "Nänie" oder das "Schicksalslied" bringen können.
Also zurück auf Kaltstart: Nach den "Vier ernsten Gesängen" wirken die alttestamentarischen Texte, die Brahms für sein "Deutsches Requiem" ausgewählt hatte, weniger schroff und bitter, ebenso ihre gesangliche Vermittlung. Die Symphoniker mit dem Hans-Sachs-Chor und der Schola Cantorum Leipzig unter der stets souveränen Leitung von Guido Johannes Rumstadt setzen musikalisches Pathos nur dann ein, wenn es unbedingt erforderlich ist, verstehen es aber, speziell im dritten und sechsten Satz, Spannung aufzubauen und behutsam zum Höhepunkt zu steigern.
Das Herzstück und den Ruhepol bildet Julia Grüters – sie reüssiert im Opernhaus zurzeit in der Titelpartie von Cavallis Oper "La Calisto" – Arie "Ihr habt nun Traurigkeit". An tiefem Ernst steht sie dem prophetischen Duktus Marquardts in nichts nach. Nicht schrille Verzweiflung und Betteln um Gnade, sondern stille Selbsterkenntnis – das ist der Eindruck, den Brahms in seinem Requiem vermittelt. Und am Ende steht doch der Trost und der Ausblick auf eine endgültige Harmonie als letzte Gewissheit.